Mattgesetzt #5
Fabian Czappa bittet Markus Hahn zum Gespräch über den Leistungskader und Trainingsstrukturen für leistungsstarke Kinder.
Durch Betreuung der DLM und des Jubiläums-Open in Darmstadt sind wir etwas verspätet. Wir bitten, dies zu entschuldigen.
Fabian Czappa: Hallo Markus, du hier zufällig auf der MDVM? Da stehst du doch sicherlich für ein Interview bereit.
Markus Hahn: Oh nein! Ich weiß nicht, ob ich dafür gemacht bin, aber fang ruhig mal an.
Fabian: Fangen wir einfach an: Wer ist denn die Zielgruppe vom Leistungssport im HSV?
Markus: Die Zielgruppe des Leistungssports in Hessen sind Jugendliche unter 18, die zur erweiterten hessischen Spitze im jeweiligen Jahrgang gehören. Es gibt manchmal stärkere oder schwächere Jahrgänge, da gibt es dann mal ein Kind oder auch fünf am Anfang. Bei den Jüngeren ist die Entwicklung schwerer vorherzusehen, da nehmen wir dann gerne auch mehrere. In der U14 oder U16 ist schon klarer, wer wirklich zur Spitze gehört. Allgemein ist es hilfreich, wenn die Kinder die hessischen Meisterschaften mitspielen – da achten wir auch auf die Tabellen und finden damit gute Leistungen.
Fabian: Dann rechne ich eben im Kopf: Zwei U10-Jahrgänge, zwei in der U12, zwei U14, sind sechs; mal vier sind 24. Dazu sind zwei U16er und zwei U18er insgesamt 28 Kinder.
Markus: Das kommt ganz gut hin. Die teilen wir in drei Gruppen mit jeweils einem Trainer ein, welche dann mehrere Trainingslehrgänge im Jahr haben. Das sind Wochenenden in Jugendherbergen, bei denen es Samstagmorgen mit dem Training beginnt und Sonntagnachmittag aufhört. Dazu kommt noch Turnierbetreuung mit Vorbereitung und Analyse mit gestellten Trainern des HSV. Natürlich auch Betreuung bei den deutschen Meisterschaften.
Fabian: Ok, mein hypothetisches Kind ist jetzt also dabei. Was bezahle ich, wie teuer wird’s?
Markus: Es gibt eine Terminliste mit den Wochenenden, die du blockieren solltest. Es gibt für die Wochenenden einen Eigenanteil, den ihr tragen müsst. Bei den Turnieren musst du die Anmeldegebühren und ggf. auch das Pendeln selbst bezahlten. In der Regel sind dies zwei pro Jahr, z.B. das Staufer Open Anfang Januar und das Open in Heusenstamm.
Fabian: Das Staufer von Schwäbisch Gmünd? Also außerhalb von Hessen?
Markus: Ja. Das ist ein super Turnier mit gutem Datum (02. Januar bis 06. Januar).
Fabian: Ok. Ich habe also den Terminkalender für mein Kind blockiert. Was erwartet mich dann auf so einem Turnier?
Markus: Wir versuchen immer einen separaten Raum vom Turnierveranstalter zu bekommen, wo wir dann unseren Standort haben. Dann haben wir etwas Ruhe und die Gegner bekommen die Vorbereitung nicht mit. Gerade auf der DEM hat jede Delegation ihren eigenen Raum. Und apropos Meisterschaft: ZL, DEM und, falls du eingeladen wirst, auch die DLM gehören zu unserer Erwartung an dich.
Fabian: Ok, dann mal einen Schritt weiter. Mein Kind ist auf dem Höhenflug schlechthin. Wo geht es weiter?
Markus: Es gibt natürlich einen Kader auf deutscher Ebene, da sind auch aktuell mehrere Jugendliche aus Hessen drin. Aktuell sind das Christian Glöckler, Lloyd Shang Burkart, Alexis Buchinger, Harshill Pradeep und Sepas Zargaran (https://www.schachbund.de/dsbkader-m-2025.html) Das läuft in Hessen dann parallel, heißt, du bist zu beiden eingeladen. Genauso gibt es auch in manchen Bezirken Leistungskader, auch dort kannst du Mitglied sein.
Fabian: Im deutschen Kader kommen mir noch einige andere Namen bekannt vor, die aber nicht als Hessen vermerkt sind. Nach was richtet sich das?
Markus: Du brauchst eine aktive Spielberechtigung für einen Verein, der dem Hessischen Schachverband angehört. Sonst dürftest du z.B. auch keine hessischen Meisterschaften mitspielen. Wenn du mal in einen anderen Landesverband wechselst, vertrittst du Hessen nicht mehr und damit erhältst du keinen Zuschuss mehr von uns.
Fabian: Ohne dass ich euch Trainern hier zu nahetreten möchte, aber wenn mein Kind so richtig stark geworden ist, kann es dann überhaupt noch was von euch lernen? Christian z.B. hat aktuell 2473 DWZ, mehr als du, Jürgen oder Uwe.
Markus: Mitmachen geht natürlich immer, aber sobald du über ca. 2300 in einem jungen Alter hast, ist der deutsche Kader interessanter. Du musst auch bedenken, dass hier Gruppentraining stattfindet und eben nicht alle so stark sind.
Fabian: Macht ihr denn Einzeltraining?
Markus: Nicht vom Verband aus, nein. Wenn, dann läuft das privat nebenher. Es gibt allerdings Sonderförderungen im Etat, wo das ggf. drinstecken kann. Darunter laufen auch Förderungen für Kaderkinder aus finanzschwachen Familien.
Fabian: Ich finde euch sympathisch und mein starkes Kind bleibt hier in Hessen organisiert. Aber zur schachlichen Einordnung: Wie stehen wir im Vergleich zu den anderen Schachverbänden?
Markus: Ich meine ganz gut. Das ist z.B. am Medaillenspiegel der DEM ersichtbar, in dem wir regelmäßig in den Top 3 landen. Uwe zählt Platzierungen anders als die DSJ, aber in beiden reichte es letztes Jahr für Platz 2; er zählt keine vierten und fünften Plätze, was tendenziell uns gegenüber NRW und Bayern bevorzugt, die mit mehr Kindern kommen und dadurch die Chance haben, „zufällig“ kurz hinter dem Podium zu landen. Wir haben letztes Jahr die DLM gewonnen und hoffen auf eine Titelverteidigung, unser letzter Sieg ist mit 2010 schon etwas her.
Fabian: Naja, 2024 minus 2010 ist weniger als 17, von daher doch alles ok?
Markus: Es spielen nicht alle Landesverbände um den Sieg mit, von daher geht die Rechnung nicht ganz auf. In den anderen Jahren sind wir dennoch im vorderen Mittelfeld bzw. in der erweiterten Spitze zu finden. Außerdem hat unser Kader schon den einen oder anderen Titelträger hervorgebracht, auch das zählt. Oberstes Ziel ist, dass, wer mit 18 den Kader verlässt, dies mit einem FM-Titel tut. Klappt nicht immer, aber klappte in den letzten Jahren ziemlich gut: Alexander Donchenko, Dennis Wagner, Jan-Christian Schröder wurden Großmeister und sind teils Nationalspieler. Etwas vor ihnen noch GM Hagen Poetsch, IM Julian Geske und seitdem FM Oliver Stork, FM Marian Nothnagel, FM Vincent Spitzl, IM Robert Baskin, FM Kevin Haack. Andererseits war FM Pascal Neukirchner, der nie im Kader war, auch schon deutscher Schnellschachmeister.
Fabian: Der Kader ist also kein „must have“?
Markus: Nein, und man muss auch sagen, dass vier Wochenenden im Jahr etwas dünn sind für einen FM-/IM-/GM-Titel. Das ist ein zusätzliches Angebot, aber natürlich muss man daheim einiges machen, z.B. mit Privattrainer. Wir unterstützen hauptsächlich und helfen auch beim Gruppenkontakt.
Fabian: Ok, dann träumen wir mal. Wenn du die Möglichkeit hättest, 26 Wochenenden im Jahr Kaderlehrgänge zu machen, wäre das was? Würde mein Kind damit FM werden?
Markus: Wenn du wirklich gut werden möchtest, ist das immer noch zu wenig, denn die Woche hat sieben Tage und bestenfalls machst du an jedem davon etwas fürs Schach. Zusätzlich benötigst du einen gewissen Praxisanteil, heißt Langzeitpartien, und die müssen in Opens an den anderen Wochenenden noch unterkommen – sozusagen sind 26 Wochenenden gleichzeitig zu wenig und schon zu viel. An der genauen Zahl solcher Partien scheiden sich die Geister. 40/50 Partien sind die untere Grenze pro Jahr, 70/80 sind ok. Also mindestens eine Saison und vier Opens, lieber etwas mehr.
Fabian: Wie steht’s mit dem Leistungsdruck meines Kindes im Kader? Gibt es den?
Markus: Ja, vermutlich schon. Die anderen werden besser, die trainieren auch viel, und wenn du selbst nicht besser wirst, wirst du überholt und gehörst danach nicht mehr zur Spitze. Das hängt stark vom Elternhaus ab, da gibt es entspanntere und strengere Varianten, und dein eigener Druck kann auch variieren.
Fabian: Ich stelle mir vor, dass das teuer wird. Mein Kind wird stark; die Hessische Meisterschaft ist bei uns in der Jugendherberge, die deutsche Meisterschaft ist auch noch in Hessen, aber schon in einem großen Hotel. Jetzt muss ich mit dem Kind weiter zur Europa- oder Weltmeisterschaft. Flüge, Hotels, Trainer? Was kommt da auf mich zu?
Markus: Bei internationalen Turnieren ist der DSB verantwortlich. Wer gewinnt, bekommt einen Zuschuss, danach müssen alle es selbst zahlen – kommt aber ggf. auch auf die Altersklasse an. Wer so gut ist, hat auch mehr Turniere im Jahr, da die Partien essenziell zum Besserwerden sind. Ständig qualifizierst du dich und musst dann weiter wegfahren. Eigentlich ist Schach ein günstiges Hobby, aber weil die Partien so lange dauern, brauchen größere Wettkämpfe gleich mehrere Tage mit Übernachtungen.
Fabian: Wo wir hier von richtig starken Spielern reden, die auch bei internationalen Meisterschaften mitmachen: Warum wechseln denn die richtig starken Kinder wie Bennet oder Bayastan aus Hessen weg?
Markus: Tja, gute Frage. Eine mögliche Antwort ist, dass wir relativ wenige Vereine in Hessen haben, die in den höchsten Ligen spielen. Wolfhagen ist jetzt in der Bundesliga, Hofheim ist in der 2. Bundesliga Nord. Wenn du starke Gegner haben möchtest, kannst du aber auch nach Viernheim, Baden-Baden, etc. wechseln. Da hängen nicht nur die Spieleinsätze dran, da kommen auch Trainings mit den Spielern aus der ersten Mannschaft dazu, die sehr wertvoll sein können. Andererseits muss man sich fragen, ob man Vereine mit eingekauften Aufstellungen möchte, das geht aber hier zu weit.
Fabian: Ok, du sagst: Wir sind stark in den Medaillen, schwach in den Topvereinen. Was läuft noch, oder wo krank es noch?
Markus: Manchmal wünsche ich mir gerade bei den Älteren, dass sie beim Kaderlehrgang regelmäßiger mitmachen würden. Ansonsten wünsche ich mir einen vierten Kadertrainer, gerade weil der Leistungssport immer jünger wird – jetzt auch mit den deutschen Meisterschaften in der U8 – und damit die Gruppen inzwischen ziemlich stark streuen. Kostet extra Geld, welches aktuell nicht im Etat vorhanden ist. Sonst wüsste ich gerade nichts, wo wir schwächeln
Fabian: Ich habe da was, denn ich bin sauer. Mein Kind ist 18 geworden, damit zu alt für den Kader und die ganze Unterstützung hört auf.
Markus: Korrekt. Andere Landesverbände machen auch Erwachsenenförderung, wir allerdings nicht. Im Endeffekt könnte der Verbandskongress dies umsteuern, es ist von dieser Seite allerdings nicht gewünscht. Hier musst du wissen, dass der HSV im Endeffekt den gesamten Leistungssport finanziert. Ein Teil der DLM und ein Teil der DEM werden über den Etat der HSJ abgerechnet, der Rest wie z.B. die Trainerhonorare kommt vom Dachverband. Aber richtig, die HSJ ist z.B. für alle U27 zuständig, aber Ü18 fällst du aus dem Leistungssport bei uns heraus.
Fabian: Hast du eine Idee, warum das so sein könnte?
Markus: Keine definitive, aber es fehlen in den höheren Altersklassen Turniere, in denen die Spieler den Landesverband repräsentieren könnten. Die DEM hört bei U18 auf, die DVM richtet sich nicht an Landesverbände, die DLM hat da eine Sonderregelung, aber auch keine weitreichende. Außerdem ändert sich in dem Alter das eigene Leben stark mit Ende der Schule und ggf. einem Umzug, was dann Personen zugutekommt, die eigentlich gar nichts mit dem Landesverband zu tun haben.
Fabian: Was macht mein Kind dann (oder ich, weil wir inzwischen näher an meinem tatsächlichen Alter als an dem meines hypothetischen Kindes sind)?
Markus: Bis 18 zur DEM, bis 20 zur DVM und ab ca. 22 ruft Uwe an und fragt, ob du als Kadertrainer engagiert sein möchtest. Für eine längere Förderung bräuchten wir mehr Geld oder müssten andere kürzen, was in den anderen Ressorts nicht positiv aufgefasst wird.
Fabian: Uwe ruft mich an? Reicht mir das, um vom Schach zu leben?
Markus: Als deutscher Großmeister kannst du zur Bundespolizei gehen ebenso wie Leistungssportler in anderen Sportarten, und wir als Kadertrainer haben „normale“ Berufe bzw. teils studieren wir noch. Vom Schach leben ist nicht einfach, da bedarf es viel Training oder einer wirklich hohen Spielstärke – die wir alle nicht haben. Für Content Creation sind wir auch nicht geschaffen, da bleibt nur das „normale“ Leben. Z.B. sind Chessable-Kurse aktuell sehr beliebt.
Fabian: Wer lernt was davon? Wenn einer mit 2200 DWZ einen Kurs anbietet, ist der für andere auf dem Niveau überhaupt interessant?
Markus: Kommt drauf an. Ich habe ein Buch von einem holländischen Spieler mit 2100, welches ich total gut finde. Heutzutage schmeißen auch die guten Leute nur die Engine oder die Datenbank an, da ist das nicht mehr so wichtig.
Fabian: Apropos „Geld“: Ich habe mich vertan, mein Kind ist doch noch nicht so alt und ich muss einen Privattrainer engagieren. Wie oft kommt der, woher kommt dieser?
Markus: Das ist unterschiedlich. Zwischen mehrmals pro Woche und einmal alle paar Wochen geht da vieles. Hauptsächlich hängt das von dem eigenen Ehrgeiz und dem Verhältnis zueinander ab. Gibt es Hausaufgaben? Wie viel bist du bereit für Arbeitspakete auszugeben, damit der Trainer nicht kommen muss? Zum „woher“: Die HSJ führt eine öffentliche Liste der hessischen Trainer, die hier eingesehen werden kann. Außerdem haben Onlineplattformen auch Listen bzw. Mund-zu-Mund-Propaganda ist noch sehr verbreitet.
Fabian: Wie viel muss ich denn berappen?
Markus: Auch unterschiedlich. Wang Hao z.B. soll 150 die Stunde nehmen. Andere starke GMs nehmen vielleicht 200, aber ich kenne mich nicht sonderlich aus. Das Kaliber ist für kleinere Kinder aber lange noch nicht notwendig. Für den Einstieg sind 30 bis 60 Euro pro Stunde sicherlich ein guter Preis, z.B. für Studenten mit 2300 DWZ und wenig Erfahrung. Du darfst dabei die soziale Komponente nicht vernachlässigen. Erstmal eins/zwei Probetrainings um zu sehen, ob es denn in beide Richtungen passt. Auch als Trainer habe ich Ansprüche an die Kinder, die ich trainiere.
Fabian: Wie stark muss die Person denn eigentlich sein?
Markus: Erstmal ist es günstig, wenn die Person stärker ist. Bei der Weltklasse ändert sich das dann natürlich, aber von dem Niveau reden wir noch nicht. Es kann auch funktionieren, wenn der Trainer gleichstark ist, aber das benötigt dann ein gewisses Grundniveau und deutlich mehr Arbeit, z.B. bei Dvoretsky oder Aagaard. In die andere Richtung musst du auch vorsichtig sein – ein zu starker Trainer kann Probleme damit haben, die Bedürfnisse eines noch schwachen Schachspielers zu verstehen.
Fabian: So weit, so gut. Hast du noch ein anderes Thema? Ich meine, ich rede jetzt nicht noch mit dir eine weitere Stunde über HSJ/TlfE/Kassel, aber so in Richtung des Leistungssportes?
Markus: Uff, ich weiß jetzt eben nichts.
Fabian: Lass dich von der Stunde bis jetzt nicht irritieren. Du kommst nicht an die 30 Minuten von Franziska ran, die jeden Punkt strukturiert abgearbeitet hat.
Markus: Ne ne, wir haben ja auch viel gequatscht. Ich möchte auch, dass du den Preis zahlst, nochmal alles anhören zu müssen und dann abtippen zu dürfen samt redaktionellen Änderungen. Als letztes fällt mir nur ein, dass, wenn es dir ums Geld geht, Kadertrainer nichts für dich ist. Du musst dir selbst Urlaub nehmen für die Turniere und reicht wirst du nicht. Was auch etwas positives hat: Wir alle brennen für das Thema.
Temporäre Information: Im Sinne des Schachs gehört in die Reihe "Mattgesetzt" auch jeweils eine Schachpartie 3+2s. Bis wir eine korrekte Einbindung der PGN in diesen Beitrag bereitstellen können, ist diese in einer Lichess-Studie zu finden: https://lichess.org/study/xjynyLav/JGz8rdLQ
Information: Mit meiner Niederlage ist das laufende Resultat der Blitzpartien bei 2:3. Habt auch ihr etwas zum organisierten Schach in Hessen zu sagen, oder kennt jemanden, der dies hat? Meldet euch gerne unter oeffentlichkeitsarbeit@hessischer-schachverband.de