Mattgesetzt #4

veröffentlicht 01.09.2025

Fabian Czappa bittet Claus Henrici und Günter Wagner zum Gespräch über die Rolle bzw. Aufgaben der Bezirke im Hessischen Schachverband: Spielbetrieb, Austauschforum und allgemeine Organisationsstruktur

Claus Henrici: Hallo Fabian, schön, dass du uns anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Main-Taunus-Schachvereinigung besuchst.

Fabian Czappa: Hallo Claus, hallo Günter! Gerne doch, und danke, dass wir uns hier bei dir, Günter, in der Spielstätte des Groß-Gerauer Schachvereins treffen können. Euer Bezirk ist recht groß.

Günter Wagner: Gerne. Bei Bezirken wie unserem helfen lokale‘ Vereine dem Bezirk mit Räumlichkeiten natürlich jederzeit aus. Der Bezirk ist ein Verein von Vereinen und muss daher auf die Räume einzelner Vereine ganz direkt zurückgreifen.

Claus: Unser Bezirk hat angefangen, weil früher ortsansässige Schachvereine, teils auch Arbeiterschachvereine, wettbewerbsmäßig gegeneinander spielen wollten. Heißt, damals war der „Besuch“ in Nachbarvereinen zwecks Spiels und Unterstützung noch größer als heute, da dies der Weg zum Vergleich war, ohne übergeordnetes Organ. Die ersten haben angefangen – z.B. Höchst – gegen einen anderen Ort Spieleauszurichten. Das waren nicht acht Spieler wie heute, sondern gerne mehr, und wenn bei einem Verein hinten zwei gefehlt haben, hat der andere Verein dort seine eigenen Spieler eingesetzt.

Fabian: Klingt nach mehr Spaß als Wettkampf.

Claus: Vermutlich. Über die Jahre war die Bezirksentwicklung dann nicht direkt an Gebietskörperschaften gekoppelt, was inzwischen Vor- und Nachteile hat. Die lokalen Ansprechpartner in den öffentlichen Stellen sind unterschiedlich, manchmal Bürgermeister, manchmal Sportämter, etc. Der Ortswettkampf entwickelte sich weiter, sodass der Bezirk Main-Taunus gegen den Bezirk Frankfurt an 100 Brettern im Kurhaus Bad Soden gespielt hat. Solche Bezirkswettkämpfe gibt es heute leider nicht mehr, aber das Prinzip ist geblieben. Schach ist in Deutschland immer noch Sport samt einigen Vorgaben, wie Wettkämpfe auszutragen sind, oder auch bzgl. Dopingregelung und -kontrollen, Verbot von Ergebnisabsprachen und der Gleichen. Die Bezirke sind hier die Instanzen, die den lokalen Ligabetrieb organisieren, unter dem HSV, der die hessenweiten Wettkämpfe organisiert.

Fabian: Was heißt denn hier: „Instanz“? Ganz direkt gefragt: Was seid ihr eigentlich?

Claus: Erstmal sind wir ein Verein, in unserem Fall ein Zusammenschluss von 23 Vereinen im Bezirk. Die sind die Mitglieder, nicht natürliche Personen. Dann sind wir vor zwei Jahren den Schritt gegangen ein eingetragener Verein (e.V.) zu werden mit anschließender Gemeinnützigkeit. Das braucht einmal Arbeit, aber viele Bezirke sind schon seit einigen Jahren selbstständig und dann ist ein e.V. ein besserer rechtlicher Unterbau. Z.B. dürfen Förderungen stets nur an gemeinnützige Vereine und Verbände ausgeschüttet werden. Das steht jetzt und die nächsten, die auf uns folgen, können darauf aufbauen.

Günter: Aber jede Satzung und Organisationsstruktur hält natürlich nicht für immer. Wir geben immer das Staffelholz einmal weiter, und auch die Satzung bzw. die Turnierordnung wird sich weiterentwickeln und der jeweiligen Anforderung der Zeit anpassen. Ein e.V. macht aktuell vieles einfacher, angefangen bei der Kontoeröffnung. Gemeinnützigkeit ist der zweite Schritt, der uns aber auch wichtig war. Für uns als Funktionsträger ist es zudem auch besser. Über einen e.V. sind wir besser abgesichert. Aktuell haben wir auch unsere Hausbank gewechselt und sind zur Main-Taunus-Sparkasse gewechselt – ergibt sich auch praktisch aus dem Namen – welche übrigens auch sehr gerne Schachsport sponsort.

Fabian: Warum sitzt ihr dann hier? Ihr seid doch natürliche Personen…

Claus: Es braucht immer ein paar Menschen, die sich bereiterklären, nicht nur direkt im eigenen Verein etwas zu machen, sondern auch indirekt für den eigenen Verein bzw. für die anderen Vereine Zeit zu investieren. Meistens drängeln sich nicht so viele, weil die Aufgaben etwas weg vom Schach sind, dafür organisatorischer bzw. bürokratischer. Einmal im Jahr die Turnierleitersitzung, es braucht Berichte, Kassenprüfung, etc. Deswegen sagt man häufig: Die Leute, die nicht (mehr) so gut Schach spielen, die werden dann Funktionär – oder erben das Amt vom Vorgänger gezwungenermaßen. In der MTS haben wir aktuell keine Besetzung für Frauenschach und Seniorenschach, ansonsten haben wir für alle anderen Funktionen wen gefunden und halten den Laden am Laufen. Unsere Jubiläumsbroschüre zum Beispiel ist ein Werk von Dirk Windhaus und von Günter. Für Werbung bei Politikern, Journalisten, Infostände, um das größere dazustellen.

Günter: Bei der Idee, das Jubiläum „100 Jahre MTS“ zu feiern, war die Frage nach den Maßnahmen für alle MTS-Vereine eine ganz zentrale. Da gab es inklusivere und exklusivere Vorschläge, und am Ende ist als ein Teil des Maßnahmenkatalogs die Jubiläumsbroschüre rausgekommen. Darin ist nicht nur der Vorstand der MTS vertreten, sondern alle Vereine des Bezirks. Über die Jubiläumsaktivitäten überregionale Aufmerksamkeit zu erreichen, das ist uns hierdurch gelungen. Die Jubiläumsbroschüre gibt es dabei nicht nur in der Printversion sondern kann auch auf unsere Internetpräsenz heruntergeladen und auch mit der eigenen Vereinshomepage verlinkt werden. Jubiläen sind wichtig, denn das heute ist abhängig vom gestern und was morgen sein wird, das bestimmen wir heute mit.

Hinweis: Die Festschift gibt es hier online oder bei Claus Henrici als Druckversion (claus.henrici@t-online.de).

Fabian: Wie muss ich mir eine solche Ergebnisfindung im Bezirk vorstellen?

Günter: Die Vereine sind sich selbst erstmal am wichtigsten. Unsere Aufgabe ist es dann, sowohl Dinge, die im Interesse von einzelnen Vereinen oder nach Möglichkeit der Mehrheit oder aller Vereine sind, durchzuführen, als auch Dinge, die gegen die Interessen vom Schachsport und Vereinsschach sind, auszubremsen. Genauso wie es eine Aufgabe des HSV ist, die unterschiedlichen Bezirke zu motivieren, etwas für Hessen als Ganzes auszurichten.

Claus: Wir versuchen ein bisschen zu fördern, dass es allen gut geht: Wenn nur einer gewinnt, verlieren alle anderen – das kann nicht Ziel einer Vereinigung sein. Es hat keiner Freude daran, wenn ein Verein dann keine Mannschaft mehr stellen kann. Gerade bei Kindern und Jugendlichen ist es wichtig, dass sie Vereine in der Nähe finden, in dem sie spielen können.

Fabian: Eine dazu passende Frage: Ich bin aus Darmstadt die Bundesstraße hochgefahren und kam erstmal in Klein-Gerau vorbei, wo es keinen Schachverein gibt. Wenn sich jetzt 10 Kinder in Klein-Gerau samt Eltern zum Verein zusammenfinden, was passiert dann? Ist der Verein automatisch bei euch im Bezirk Mitglied?

Claus: Automatisch nicht, es braucht eine Mitgliedschaft im Landessportbund und dann geht die Entscheidung auch an den HSV. Es gibt jetzt einen neuen Verein zwischen Eppstein und Hofheim, ein Sportverein primär für Fußball, die gesagt haben, sie wollen jetzt auch Schach spielen. Da haben wir gesagt: „Selbstverständlich!“ Wir sind froh über alle, die sich engagieren bzw. sich am Schach erfreuen. Ob sie dann eine Mannschaft melden oder noch nicht, das ist nur im Hintergrund wichtig. Wenn wer meint, in irgendeinem Stadt- oder Ortsteil einen neuen Schachverein gründen zu wollen, den unterstützen wir natürlich in den Bestrebungen. Auf der anderen Seite unterstützen wir auch Spielgemeinschaften mehrere Vereine, die nur noch zusammen eine Mannschaft stellen können. Dann können sie trotzdem noch am eigenen Vereinsabend zusammenkommen. Es muss natürlich ein „Ehevertrag“ existieren für Fragen wie „Wenn sie sich wieder trennen, welche Mannschaft geht in welche Liga?“ und der gleichen Formalien.

Fabian: Alles im Sinne des Schachs?

Günter: Der ganze Vorstand der MTS versteht sich so, dass wir Rahmenbedingungen schaffen, in der alle drei Säulen möglich sind: (1) Kadertrainings im Leistungssport für eins/zwei Wochenenden; (2) Vereinsvertreter im Schulschach, was wir absolut fördern, und (3) Sportwettkämpfe im Sinne von Auf- und Absteigern. Wir halten Schach für ein äußerst wichtiges Kulturgut und glauben, dass es für Menschen gut ist, wenn sie Schach spielen (können). Alle, die mit dem Thema Schach in der Schule beschäftigt sind, können bestätigen, wie häufig es positive Erfahrungen für Kinder und Jugendliche in den Bereichen gibt.

Fabian: Schach wandelt sich. Turniere werden teils online ausgetragen, Chess960 wird prominent platziert. Wie steht ihr dazu?

Claus: Die Mitgliederversammlung hat beschlossen, dass die MTS Chess960 stärker fördern, auch mit den ChessTigers zusammen. Diese arbeiten mit uns zusammen, gehören aber dem Bezirk Frankfurt an, da dort viel Raum zur Entfaltung existiert. Wir haben jetzt niederschwellig einen 4er-Pokal in Chess960 ausgeschrieben; die niedrigklassig spielenden Mannschaften haben sich noch nicht so gemeldet, die höher klassig spielenden Mannschaft sind hochmotiviert dabei.

Günter: Wir im Vorstand hatten uns dazu gefragt: Welche Weiterentwicklung von Schach wollen wir unterstützen? Da haben wir uns auf Präsenzschach fokussiert, sowohl Standardschach als auch in der Version Chess 960. Das Onlineschach beobachten wir erstmal weiterhin. Zur Unterstützung gehört das von Claus gerade zitierte von der MTS ausgerichtete Turnier dazu, aber auch die Unterstützung, wenn Vereine solche Turniere in Eigenregie durchführen wollen, wie Groß-Gerau die Schnellschachmeisterschaft in Chess 960 und im Oktober eine Schach-Challenge. Wir glauben, die Maßnahmen helfen und produzieren interessante Resultate, ganz unabhängig davon, was FIDE und andere Organisationen auf Weltebene treiben.

Claus: Beim Onlineschach, glauben wir, dass es genügend kommerzielle Anbieter gibt, die es viel besser als wir können. Die Frage nach einer Online-MTS-Meisterschaft gab es, aber die Rückmeldungen der Vereine waren verhalten – die Vereine leben von Austausch und Face-to-Face, da passt es noch nicht zusammen. Hier unterstützen wir die Vereine auch sehr gerne, beispielsweise haben wir einen sehr schönen Stock an Spielmaterialien, die wir für Turniere kostenfrei zur Verfügung stellen. Unsere Vereine machen aber noch mehr als nur Schach spielen, z.B. Ausflüge, Weihnachtsfeiern, allgemein soziale Interaktionen. Ich hatte den Auftrag geerbt, zu erkunden, was es für unterstützendes Material für den E-Sport Schach von Seiten des DSBs gibt. Dort habe ich gemerkt, dass es nicht um Breitensport geht; es gibt auch keine Handreichungen für uns – sie wollen nur den Leistungsaspekt vermarkten. Falls der Breitensport mehr in den Fokus rücken soll, müsste hier von oben etwas Hilfe kommen, schon alleine bei der Differenzierung zwischen E-Sport und Onlineschach. Falls es da Bestrebungen gibt, auch aus unserem Bezirk bzw. unserer Jugend, stehen wir da natürlich nicht im Weg und unterstützen nach Kräften.

Fabian: Ihr habt jetzt schon öfter von eurer Jugend gesprochen. Was heißt das konkret?

Claus: Wir haben einen eigenen Jugendvorstand, der bei uns integriert ist. Dieser kümmert sich um Belange der Jugendturniere wie beispielsweise die Qualifikation für das ZL. Aktuell ist er leider etwas älter als „jugendlich“ – viele in dem Alter haben verständlicherweise noch andere Prioritäten, und so halten Erwachsene die Funktionärsplätze „warm“, bis sich wer findet. Wenn möglichst viele Leute etwas mitmachen, ist für alle weniger zu tun.

Fabian: Bis jetzt klang alles sehr harmonisch bei euch. Wo reibt es sich denn in Bezirken?

Claus: Das tut es nur selten. Ein Verein profitiert ja auch von aktiven Vereinen in der Nachbarschaft. Auf der letzten Mitgliederversammlung war im „Fremdbereich wildern“, also in einer fremden Stadt für den eigenen Verein Werbung machen, ein hoch diskutiertes Thema. Auf der anderen Seite gibt es auch Vereine, die nicht die Kapazitäten haben, alle Nachfragen zu bedienen – hier braucht es einen Mittelweg, wie so oft. Wir können es nicht allen 100% Recht machen, aber können immer drauf hinweisen, wo es Konfliktpotential mit anderen gibt – was nur Zeit und Energie für ein Hobby kostet.

Fabian: Was wünscht ihr euch denn vom HSV?

Günter: Einer meiner Wünsche wäre: Die Wettkämpfe von früher, Bezirk gegen Bezirk, wieder aufleben zu lassen, gerne im Rahmen des HSV. Bezirkswettkämpfe mit variabel vielen Spielern. Der Breitensport im HSV hinkt etwas hinterher, das wäre eine Möglichkeit, den wieder aufleben zu lassen. 20 Spieler auf dem Marktplatz im Zentrum, sorgt auch für Öffentlichkeit. Hat der HSV eigentlich einen Newsletter?

Fabian: Der HSJ hat den Newsletter für die Jugend, auch themenspezifisch, aber beim HSV gibt es den nicht. Es gibt jetzt eine Signal-Gruppe für die Verteilung von Turnierausschreibungen.

Günter: Die Artikel, die du und die anderen schreiben, die könntet ihr proaktiv rausschicken; ihr habt ja alle Daten für alle Vorsitzenden der Vereine, da könntet ihr mit einem Knopfdruck alle Infos verteilen. Das Schreiben hast du ja erledigt, das Verteilen dauert dann im Vergleich kaum länger.

Claus: Ich verschicke gerne immer alles, was ich bekomme. Aber dafür muss ich etwas in erster Instanz erhalten.

Günter: Richtig. Der HSV könnte mit relativ wenig Aufwand weitreichendere Öffentlichkeit generieren. Ihr kostet „uns“ ja auch Mitgliedsbeiträge, die sollten gut investiert sein.


Temporäre Information: Im Sinne des Schachs gehört in die Reihe "Mattgesetzt" auch jeweils eine Schachpartie 3+2s. Bis wir eine korrekte Einbindung der PGN in diesen Beitrag bereitstellen können, ist diese in einer Lichess-Studie zu finden: https://lichess.org/study/xjynyLav/KRTBlXVh

Information: Mit meiner Niederlage ist das laufende Result der Blitzpartien bei 2:2. Habt auch ihr etwas zum organisierten Schach in Hessen zu sagen, oder kennt jemanden, der dies hat? Meldet euch gerne unter oeffentlichkeitsarbeit@hessischer-schachverband.de