Fabian Czappa bittet Franziska Blaschke zum Gespräch über die Deutsche Frauen-Mannschaftsmeisterschaft der Landesverbände, ihre Erfahrungen im Mädchenschach und warum sie mehr organisiert als selbst spielt.
Mattgesetzt #3
Fabian Czappa: Hallo Franziska, hier im Hessischen Braunfels bei den Deutschen Frauen-Ländermeisterschaften.
Franziska Blaschke: Bei den Deutschen Frauen-Mannschaftsmeisterschaften der Landesverbände. Ich habe den Titel jetzt so oft im Internet gesucht, da musst du bitte genau sein.
Fabian: Ok, so wie bei der HMWJ (Anm.: Hessische Meisterschaft der Weiblichen Jugend) bzw. der HMMM (Anm.: Hessische MädchenMannschaftsMeisterschaft). Warum treffe ich dich hier?
Franziska: Dieses Jahr organisiere ich das hessische Team, also habe ich auch vor Ort die Mannschaftsführung. Im Vorfeld habe ich mögliche Spielerinnen kontaktiert, damit wir eine volle 8er-Mannschaft haben und habe auch die Unterkunft hier in Braunfels organisiert. Jetzt bin ich als Mannschaftsführerin für alle organisatorischen Dinge rund ums Turnier verantwortlich bzw. werde auch bei Remisangeboten gefragt.
Fabian: Wie schwierig ist es, das Team zusammenzustellen?
Franziska: Angefragt habe ich wahrscheinlich um die 40 Spielerinnen, bis ich jetzt elf Zusagen für die acht Bretter hatte – nicht alle können das ganze Wochenende spielen, und da wir in Hessen sind, können manche Spielerinnen auch für eine Partie vorbeikommen. Insgesamt darf man bis zu zwölf Spielerinnen benennen, daher bin ich für den Fall der Fälle auch gemeldet. Im Endeffekt habe ich beim DSB einfach die DWZ-Liste der 50 besten Frauen in Hessen abgefragt und bin dann von oben nach unten durch. Manchmal hatte ich bereits privat Kontakt, manchmal über den Verein, manchmal über andere Spielerinnen. Heißt, ich frage die erste Ladung mit Frist an, und wenn dann negative Rückmeldungen kommen, gehe ich so weiter vor. Alles in allem hat sich das von Februar bis April hingezogen.
Fabian: Wenn ich eine Frau in den Top 50 in Hessen bin, warum komme ich dann hier zum Turnier?
Franziska: Erstmal vertrittst du Hessen in einem ausgewählten Kader, das heißt, das ist ja nochmal etwas anderes als in einem Einzelturnier. Die anderen Spielerinnen kennst du meistens, weil es nicht so viele Schachspielerinnen gibt. Heißt, du hast in der Regel ein sehr nettes Wochenende mit Bekannten. Der HSV bezahlt die Unterkunft in einem Doppelzimmer samt Frühstück und die Fahrtkosten, also muss man sich nur um die Mittag- und Abendessen selbst kümmern.
Fabian: Das ist eine offizielle Meisterschaft des DSB. Was gewinne ich dann hier?
Franziska: Als Team einen Pokal, ansonsten Ruhm und Ehre. Es geht hier vor allem um Spaß und um das Connecten zwischen den Frauen – Fronleichnam in einem schönen Ort wie Braunfels, in diesem Jahr bei sehr gutem Wetter, vielleicht sogar zu gutem Wetter. Bei der Eröffnung habe ich gehört, dass das Turnier jetzt zum 27. Mal von insgesamt 31 Malen hier in Braunfels ist. Da können wir von Tradition sprechen.
Fabian: Wenn du das Turnier zwischen der DJEM in Willingen und einem Seniorenturnier im Bezirk einordnen müsstest, wie „ernst“ seid ihr hier?
Franziska: Ach, hier ist es schon lockerer. Wir haben eben über den Preis in Form von Ruhm und Ehre gesprochen, und dementsprechend sind viele der Frauen, die hier schon seit Jahren teilnehmen, gut vernetzt untereinander. Hier trifft man sich, geht als Team abends essen und trifft dann dort auch wieder andere Teams. Eine ganz andere Stimmung als im Open, wo alles anonym ist. Viele der Frauen, die hier sind, spielen auch in der 2. Frauen-Bundesliga, was dann auch wieder ein Wochenende pro Doppelspieltag ist. Wenn man seit Jahrzehnten in der Spielstärke spielt, kennt man sich einfach.
Im letzten Jahr gab es komplette Liveübertragung aller Partien, das hat die Sache nochmal aufgepeppt, wenn von zuhause die Familie oder die Mannschaftsführerin aus dem Hotel prüfen kann, wie weit die Spielerinnen jeweils sind. Dieses Jahr ist die Übertragung etwas eingeschränkt.
Fabian: Fronleichnam sind vier Tage für fünf Runden. Wie sieht hier euer Freizeitprogramm aus?
Franziska: Samstagnachmittag ist immer frei, damit das Team etwas gemeinsam unternehmen kann. Wie in jedem Jahr ist da aber auch die Sitzung der Frauenkommission, daher werde ich nichts mit meinem Team unternehmen, sondern Hessen bei der Sitzung vertreten; den anderen gebe ich ein paar Empfehlungen wie das Schwimmbad, das Schloss, und den Kneipweg. Hier im sehr schönen kleinen Städtchen ist alles fußläufig. Einige unserer Damen waren früher immer im Café Vogel zu finden, egal an welchem Tag.
Fabian: Wie oft hast du denn mitgespielt?
Franziska: Das weiß ich gar nicht. Oft war ich nur als Ersatz kurzfristig für eine oder zwei Partien da; als Studentin in Gießen war es nie so weit. Ich erinnere mich noch an eine Zeit, da wurde ich für die zweite Mannschaft gefragt – damals wurde der ersten Mannschaft alles bezahlt und die zweite Mannschaft hatte vollen Selbstkostenpreis, das hatte ich dann abgesagt. In den letzten Jahren war das nicht mehr so und dann haben wir versucht, einigen jüngere Spielerinnen die Möglichkeit zu geben. Das hat dieses Jahr auch so funktioniert, wir haben die aktuelle Hessenmeisterin U18w und einige andere Jugendspielerinnen hier.
Fabian: Gute Überleitung, das sind ja „deine“ Jugendspielerinnen. Du bist in der HSJ für Mädchenschach zuständig.
Franziska: Ich bin vielleicht voreingenommen (lacht).
Fabian: Macht ja nichts. Was heißt Mädchenschach, hier bei uns in Hessen?
Franziska: In der HSJ gibt’s den Posten und wir haben Veranstaltungen extra für Mädchen, je nach Veranstaltung bis 18, 20 oder 24 Jahre. Andere Landesverbände bieten Dinge wie Patentlehrgänge an – das haben wir länger nicht gemacht – oder dass man einfach immer im Blick behält, dass in jeder Veranstaltung auch Mädchen dabei sind und sie daher auch für sie einladend sein sollten. Für mich sind es jedenfalls drei Veranstaltungen im Jahr extra für Mädchen: Die Hessische Mädchen-Mannschaftsmeisterschaft, die vorgegeben ist, da auf der höheren Ebene Meisterschaften existieren. In den letzten Jahren haben wir mit Offenbach einen sehr guten Partner, bei dem es mit der Organisation super läuft. Dann gibt es noch zwei Wochenendveranstaltungen, damit sich die Mädels besser kennen lernen; diese richten sich eher an Anfängerinnen. Stärkere und ältere Mädchen haben oft kein Problem mehr, Veranstaltungen und Opens zu finden, auf die sie mitfahren können, aber gerade im Anfängerbereich tut es den Mädchen gut unter sich zu sein. Oftmals gibt es unschöne Erfahrungen, wenn sie gegen Jungs spielen, weil es dumme Sprüche oder ähnliches gibt – der geschützte Rahmen ermöglicht hier eine viel bessere Erfahrung mit Spaß am Spiel und an der Niederlage. Das gibt sich dann mit mehr Selbstbewusstsein, und die kommen dann gerne ins Team und unterstützen wiederum bei der Durchführung der Veranstaltungen.
Fabian: Wir müssen das mal name-droppen. Das eine ist das Girls-Camp, und das andere ist das …?
Franziska: Das zweite ist der Mädchen-Grand-Prix. Das ist eigentlich eine Veranstaltung der Deutschen Schachjugend, die vor 10 Jahren ins Leben gerufen wurde. Verschiedene Landesverbände führen Wochenendturniere mit DWZ-Auswertung durch und am Ende gibt es ein Finale, welche die DSJ ausrichtet. Ursprünglich war die Idee der Kampf gegen folgendes Problem: Wir verlieren viele Mädchen zwischen 16 und 20 Jahren – Jungs auch, aber bei Mädchen tut es mehr weh, weil es schon anfänglich viel weniger sind – weil sie aus den meisten Jugendveranstaltungen rausfallen. Daher richtet sich der MGP an Mädchen und junge Frauen bis 25 (Anm.: In Hessen wird die Qualifikation im Jahr davor ausgespielt, daher bis 24 Jahre), aber in der Praxis haben wir doch jüngere Teilnehmerinnen.
Fabian: Heißt, es gibt 17 Vorrunden im Jahr, eins pro Landesverband (Anm.: Baden und Württemberg sind getrennt)?
Franziska: Es gestaltet sich auch von Jahr zu Jahr schwieriger Landesverbände und darin Funktionäre zu finden, die die Vorrunden ausrichten, NRW sticht hier sehr positiv hervor. Es ist zusätzlich schwierig, wenn Zuständigkeiten wechseln. Ich mache das hier seit zehn Jahren, bei uns ist das etabliert und für mich noch kaum Arbeit. Wenn aber Referent*innen wechseln, gibt es immer eine Einarbeitungszeit, gefühlte Altlasten von davor, neue Ideen, etc. Als ich z.B. Referentin wurde, habe ich die bis dahin durchgeführten Turniere nicht weitergeführt – die waren mit DWZ-Auswertung aber ohne Übernachtung. Im Großen und Ganzen ist es allerdings wichtig: Sich selbst einbringen, eigene Ideen umsetzen, gerade das macht Spaß. Insgesamt sind es also einer eine Hand voll Vorrunden verteilt in Deutschland, wobei der Arbeitskreis Mädchenschach der Deutschen Schachjugend durchaus versucht, diese dann immerhin möglichst gleichmäßig in Deutschland zu verteilen. Wenn also niemand aus dem Norden eine Vorrunde ausrichtet, versuchen sie Mitglieder des Arbeitskreises gezielt Personen dafür zu finden, dass dort auch eine Vorrunde stattfinden kann.
Fabian: Irgendetwas wollte ich die ganze Zeit schon fragen, habe es aber gerade vergessen.
Franziska: Zum Grand-Prix oder zum Girls-Camp?
Fabian: Bestimmt zu beidem. Egal. Du bist eine Frau, Franzi.
Franziska: Das stimmt.
Fabian: Wie kamst du – oder anders – was hast du als Mädchen gemacht? Exklusive Mädchenveranstaltungen?
Franziska: Das Girls-Camp habe ich als Kind in anderen Bundesländern mitgemacht. Mit meiner Schwester und der Mädchengruppe, die wir in der Grundschule waren, sind wir zu vielen Mädchenturnieren gefahren – mein erstes war ein Schnellschachturnier in Mainz über zwei Tage, das fand da jedes Jahr statt. Immer mit dem vollen Auto, sieben Mädels oder so, haben dann Übernachtungsparty gemacht und am nächsten Tag nochmal hin. So lange, wie es das Turnier gab. Sie [Anm.: Franziska deutet nach rechts zu zwei analysierenden Spielerinnen] auch, ihr Vater hat die Turniere damals organisiert. So habe ich angefangen, habe direkt einen Pokal gewonnen und bin dabeigeblieben. Beim Schulschach haben wir auch immer in der Mädchenwertungsgruppe teilgenommen, sind auch später jedes Jahr zur Deutschen Schulschach-Meisterschaft gefahren, auch wenn wir nie erste wurden, aber durchaus schon zweite oder sonst in den besten fünf gelandet sind. Was mich nie so gereizt hatte waren reine Frauenveranstaltungen, die waren irgendwie langweiliger.
Fabian: Da gab es nicht so viel Quatsch!
Franziska: Es fehlte das Rahmenprogramm. Es wurde viel ernstes Schach gespielt, ich kannte nicht so viele Leute. Auf die Mädchenschachturniere bin ich mit meinen Freundinnen gefahren, auch wenn die kaum Schach spielen konnten. Manchmal sehe ich Fotos an und denke mir „Ja, die war mal auf einem Schachturnier, auch wenn sie nichts mit Schach zu tun hatte.“ Die Frauenturniere waren lange Partien und dann eine Heimfahrt – einfach nicht das gleiche Paket.
Fabian: Du erzählst als von deinen Freundinnen und deiner Gruppe. Madeleine hat auch schon erzählt, dass Freundinnen im Schach wichtig sind. Kannst du das nochmal beleuchten, insbesondere für den von Männern und Jungs dominierten Sport?
Franziska: Ich glaube, es hat in der Grundschule sehr geholfen, weil wir hauptsächlich als Mädchen zusammen Schach gespielt haben. Das Schulteam hat sich über zehn Jahre gezogen, auch wenn wir mit der Spielstärke auseinandergedriftet sind. Die eine war Deutsche Meisterin und ist auf die Weltmeisterschaften gefahren. Ich bin zur Herborner Schachjugend und zu den Biebertalern Schachfreunden gekommen, die haben Turnierfahrten organisiert, bei denen auch Jugendliche mitfahren konnten, die nicht bei ihnen im Verein waren – wie ich zum Beispiel. Das war eine Zeit lang eine sehr wichtige Gruppe für mich, und bin auch irgendwann nach Biebertal gewechselt, obwohl ich relativ weit entfernt wohne. Einmal im Monat, an einem Samstag, gab es einen ganzen Tag Training – da hat sich die Stunde Autofahrt gelohnt. Wir sind in einer festen Gruppe während der Ferien zu Turnieren gefahren. Das war sehr großartig und wenn ich das nicht gehabt hätte, wäre ich vielleicht nicht mehr beim Schach.
Fabian: Hast du eine grobe Zahl, wer noch beim Schach ist von der Gruppe?
Franziska: Nicht mehr sehr viele. Die meisten haben aufgehört oder sind aus meinem Sichtfeld verschwunden. Am Ende bin ich wegen des Ehrenamtes beim Schach geblieben. Am Anfang in der HSJ war ich 16, da war automatisch die nächste feste Gruppe vorhanden, und so bin ich vom aktiven Schach weggekommen und zur anderen Seite gewechselt – die auch jetzt noch viel Spaß macht. Im Ehrenamt lernt man so viel und hat fast nur mit freundlichen Leuten zu tun, weil hier alle ihre Freizeit opfern, um etwas für andere zu tun. Wenn es da ein „Danke“ zurückgibt, hat man schon alles richtig gemacht. Aktiv spiele ich kaum noch, mein letztes Open war das Staufer Open 2016. Ich spiele zwar noch vereinzelt Liga, aber gerade in der letzten Saison waren es doch sehr wenige Spiele. Oft muss ich auch wegen anderer Termine die Spiele absagen oder möchte nicht drei Stunden pro Strecke für ein Spiel auf mich nehmen.
Fabian: Zu einem Schachturnier möchte ich dich auf jeden Fall noch etwas fragen. Du hast mal „geschummelt“ – die hast die U18 beim ZL mitgespielt anstatt der U18w. Kannst du mir dazu was sagen?
Franziska: Das ist nicht geschummelt! An der offenen U18 darf man auch als Mädchen teilnehmen und ich war damals qualifiziert. In meinem Jugendbezirk gab es nicht so viele Spieler – ein Grund mehr, dass es mir gutgetan hat, von den Herbornern und den Biebertalern aufgenommen worden zu sein. Das führte zu schwachen Bezirksmeisterschaften und dann habe ich zweimal in der offenen U18 mitgespielt. Einmal habe ich meine erste Elo bekommen und mein Trainer meinte damals, dass ich sicher auch durch einen Freiplatzantrag zur DJEM komme und deswegen wer anders den Qualifikationsplatz bekommen kann, und das zweite Mal konnte ich bei der DJEM wegen meines Abiturs nicht teilnehmen. Außerdem: Ich fand es ganz furchtbar gegen die ganzen Mädchen zu spielen, die man kennt … dann lieber gegen die anonymen Jungs. Da konnte ich allen Mädchen Glück wünschen und es gab nicht eine, bei der das eigentlich gelogen war.
Fabian: Sonst keine Probleme? Warst du in dem Moment das einzige Mädchen im Turnier?
Franziska: Ja. Die anderen Mädchen hatten in den Jahren alle in der geschlossenen Mädchenaltersklasse gespielt. Das kennt man ja von allen anderen Open auch, da spielt man meistens ja auch gegen sieben Männer in sieben Runden.
Fabian: Warum machst du eigentlich weiter?
Franziska: Das wichtigstes ist eigentlich, dass das Ehrenamt so eine tolle Sache ist. Es macht viel Spaß mit den richtigen Leuten, und ich kann nur jeden animieren dazu, mal zu fragen: „Was kann ich denn tun?“. In der Regel wird man dankend im Empfang genommen – wir in der HSJ sind für Projekte immer offen, und was soll schon schief gehen? Man lernt dabei so viel organisatorisches fürs Leben. Ich bin jetzt Lehrerin und lache über jede Exkursion, weil ich schon Tagesturniere und Ausflüge beim Schach organisiert habe, bevor ich volljährig war. Das macht einfach Spaß und es lohnt sich, Zeit für andere zu investieren.
Temporäre Information: Im Sinne des Schachs gehört in die Reihe "Mattgesetzt" auch jeweils eine Schachpartie 3+2s. Bis wir eine korrekte Einbindung der PGN in diesen Beitrag bereitstellen können, ist diese in einer Lichess-Studie zu finden: https://lichess.org/study/xjynyLav/OiFl1nD1
Information: Mit meiner Niederlage ist das laufende Result der Blitzpartien bei 2:1 für mich. Habt auch ihr etwas zum organisierten Schach in Hessen zu sagen, oder kennt jemanden, der dies hat? Meldet euch gerne unter oeffentlichkeitsarbeit@hessischer-schachverband.de